Der Kobold hat nur Quatsch im Kopf

Mai 21, 2006 on 10:31 pm | In indiewelt, fynn |

Jochen Distelmeyer und der blaue Planet

text + photos : fynn steiner

6 Comments »

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  1. blumfeld im uebel&gefaehrlich, 200506 hamburg

    Meine Schwester lächelt mir zu. Es ist der zweite Song heute Abend und Jochen Distelmeyer singt von Roy Orbison und Van Gogh, von Hollywood und Babylon. Ich weiß, was sie meint. Sie denkt an Mark, den ich früher immer Kobold oder Gnom genannt habe. Mark, der nichts mit Kobolden am Hut hatte, sondern einfach nur kleiner war. Kleiner, als die anderen. Und da ist dieser Mann im Anzug auf der Bühne, so schmächtig und strahlend, so weiß und voller Energie. Er stellt sich hin und singt im klebrigsten Club Hamburgs den Biertrinkern etwas von Orchideen, Bienen, Äpfeln und Flüssen vor. Wenn das nicht die beste Idee seit Georg Trakl ist, was dann? Distelmeyer hat nur Quatsch im Kopf, polarisiert spielend die Massen, treibt sie auseinander und wieder zusammen.

    Seit Wochen laufen die Zeitungen sich mit Kommentaren zum neuen Album „Verbotene Früchte“ den Rang ab. Der Rolling Stone nahm Distelmeyer aufs Cover, im Spiegel war er auch, in FAZ, TAZ etc. sowieso und Musikexpress und Spex übertrafen sich mit ausgedehnten Interviews. Nicht zu vergessen Jochen Distelmeyers hinreißendes Interview im Deutschlandfunk. I:„Was wollen Sie denn sagen, mit ihren Liedern?“ JD:„Steht doch da alles in den Texten. (…) Soll das hier ne Homestory werden, oder was?“ Zur Klärung der brennenden Fragen konnte das alles nicht beitragen. Ist Jochen jetzt verrückt geworden, macht er Kinderlieder, ist das Naturlyrik, wo ist da der Subtext? Der Band-Diktator, der Blumfeld wieder einmal umkrempelte, hatte zu all dem nichts zu sagen. Er hatte einfach großen Spaß daran. Darin kann möglicherweise ein Schlüssel des Verstehens liegen. Mir persönlich macht es jedenfalls großen Spaß, die coolen Lederjackenmänner mit Bienen und Büschen konfrontiert zu sehen. Und das beste daran: Ihnen bereitet das offensichtlich genauso viel Freude. Bereits mit dem Eröffnungslied „Schnee“ liegt das Publikum Jochen zu Füßen. „Denn sein Licht schillert gleißend und hell.“ Bühne frei für Blumfelds humorvollstes Album.

    Am Merchandisestand gibts Taschen mit Aufdruck, T-Shirts, Platten und keine Buttons. Wie jetzt, keine Buttons? Und das nach den wunderbaren „Armer Irrer“ – Ansteckern von der letzten Tournee. Die Taschen sind grau- braun und für 6€ irgendwie doof. Bedruckt sind sie mit dem Covermotiv, einer gelben Frucht. Auf der Tasche ist die Frucht braun. „Ist ja schade, dass die nicht richtig in Farbe bedruckt sind.“ „Wieso, die ist doch in Farbe. Das Braun gefällt dir wohl nicht so, wie?“ Ich kauf zweimal das Shirt mit dem Covermotiv. Kostet pro Stück 20€, ein Schnäppchen eben. Eins als Geschenk. Nach Einlass sind wir rauf gehechtet, diesmal wollen wir nicht von einer heißen Masse zerdrückt werden. Diesmal soll es ein schöner Abend werden. Wir schaffen es auf die Galerie hinter dem Merchandisestand und lehnen uns übers Mischpult. Die Playlist ist unendlich lang. Das klingt ja vielversprechend. Mein Blick wandert Richtung Eingang, ich warte noch auf Freunde. Stattdessen kommt Rocko Schamoni rein. Oder ist er das doch nicht? Ich muss zweimal hinsehen, denn Rocko hat sich als einfacher Landarbeiter verkleidet und starrt betrunken ins Nichts. Macht nichts, ich starre ihn begeistert an. Das ist problematisch, als es losgeht. Jochen schält sich aus ockerfarbenem Nebel und ich kann mich nicht entscheiden, wohin ich gucken soll. Seh ich mir das Konzert an? Oder beobachte ich Rocko, wie er sich das Konzert ansieht? Ich dreh mich hin und her. Irgendwann ist der King dann aber verschwunden, mein Glück.

    Mein Glück, denn die Herren Blumfeld hatten einiges zu bieten. Jochen zieht sich erstmal das Jackett aus und ist schon nach den ersten Songs völlig durchgeschwitzt. Wasser perlt von ihm ab, als ob er gerade aus der Dusche käme. JD:„Ist ja ganz schön heiß hier!“ Stimme aus dem Publikum: „Ein wenig.“ JD: „Ein wenig…“ Andere Stimme: „Aber wir halten das noch aus, hier unten.“ JD: „Wir halten das auch noch aus…(hält inne und lächelt)…hier oben!“
    Dax sieht das anders, als ich ihn treffe. Zu heiß, zu voll. Tja, er steht nicht auf der Galerie. Ich fühl mich wie ein Mensch erster Klasse. Zurecht. Für den Plebs gibts ja immer noch das Wasser in den neuen Blumfeldsongs. „Leinen los!“

    Die Stimmen mehren sich: „Verstärker!“ Stattdessen spielen sie „Tiere um uns“, den vielleicht umstrittensten Song der Platte, mit seinen Pferdchen, Bienen und Fledermäusen. Beim Refrain lässt Jochen Distelmeyer den Arm durchs Publikum kreisen. Ich frag mich: „Sind wir das, diese Tiere von denen er da spricht?“ Jochen Distelmeyer, Dornenboy, Herrscher über den blauen Planeten. Und als Antwort auf den Song, auf die vielen journalistischen Fragen: „In den Liedern, die du spielst, ist immer weniger von dir selber drin! Stimmt genau sach ich, die sind so wie ich selber bin.“ Jochen um uns, was wären wir ohne ihn?

    Geschäftsidee meinerseits. Irgendwie muss ich ja auch das Geld für die T-Shirts wieder reinkriegen. Es handelt sich um ein Computerspiel. Es hat den einschlägigen Titel: „Der Herr der tausend Gitarren.“ Ziel des Spiels ist es, den Blumfeldsongs die jeweils richtige Gitarre zuzuordnen. Wie war das jetzt bei Verstärker? Die Gelbe(elektrisch) oder die Akustikgitarre?
    Die Akustikgitarre! Falsch, ein dröhnendes Geräusch erklingt. Es wär die Gelbe gewesen. Das gibt einen Minuspunkt. Da kann man sich stundenlang mit beschäftigen, keine Frage. Man möge mich korrigieren, ich habe 6verschiedene Gitarren gezählt. Dazu zwei Stunden Songs, also äh…durchschnittlich 4Minuten, also äh…30Songs. Das ist sicher gar nicht so einfach. Oder wie es in der Pressemitteilung heißen wird: „Eine Herausforderung für Jung und Alt.“

    Verstärker, mehrfach gefordert, sprengte die letzten Grenzen. Das Publikum wühlte als einziges Auf und ab vorbei an Rasierklingen und blauem Licht. „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.“ Und Jochen, schon am weiter formulieren: „Und jeder, der den Text kennt, singt jetzt mit: Mein System kennt keine Grenzen!“ Überhaupt, die Hände waren gefragt. Für einen Moment ganz Samy Deluxe, forderte Jochen energisch Engagement. Wurde zu leise geklatscht, wurde das entsprechend spöttisch quittiert. „Hamburg, ich kann euch nicht hören. Hamburg, ich kann euch immer noch nicht hören.“ Mich konntest du auch nicht hören, Jochen, ich hab leise mitgesungen. Dabei muss ich allerdings zugeben, dass die neu zusammengesetzte Band wahre Wunder wirkte. Der Bassist singt sehr hübsch und der Keyboarder ist ein verdammtes Genie. Dementsprechend energetisch spielen Blumfeld derzeit auf. Dementsprechend übermotiviert wirkt es manchmal. Aber wers sich leisten kann…
    Persönliche Highlights waren für mich „Viel zu früh und immer wieder Liebeslieder“ und das herrliche „Kommst du mit den Alltag.“ Die beiden Lieder, das eine ursprünglich eher spröde (Liebeslieder), das andere elektronisch umrahmt (Alltag) haben ein paar völlig neue Klamotten verpasst bekommen. Hübsch sehen sie aus, so können sie sich sehen lassen. Sehr melodisch, sehr fließend. Der liebe Gott am Mikrofon.

    Abschließend gabs Wellen der Liebe. Gabs auch schon vorher. Alle Achtung.

    Gezählte Persönlichkeiten, von Dax unterstützt:
    1.Rocko Schamoni
    2.Jan Müller
    3.Arne Zank
    4.Frank Spilker
    5.Thomas Wenzel
    (Ein oder zwei könnten wir übersehen haben, es war ja ziemlich dunkel.)

    Kommentar von fynn steiner — 21. Mai 2006 #

  2. Ein schöner Bericht! Gibts noch Pics vom Gig?

    Kommentar von dax — 21. Mai 2006 #

  3. ich sag grad
    ich hab noch photos einzupflegen
    und dann fing dittsche an
    .
    du freizeitamphibie

    Kommentar von eskalaparty — 21. Mai 2006 #



  4. scheiss ton aber schoene bilder - blumfeld in lunaburg, 2oo4

    Kommentar von jorge — 22. Mai 2006 #

  5. alles ist irdisch
    .
    die welt liegt im dunkeln

    Kommentar von helmut berger — 22. Mai 2006 #

  6. image
    peter sempel

    Kommentar von eskalaparty — 31. Mai 2006 #

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