fynn

Der Organist

Ich nachts im Bett. Wenn ich mich jetzt bewege, dann wird er mir in den Hals beißen. Einen Moment noch bleibe ich liegen, dann halte ich es nicht mehr aus und laufe zu meinen Eltern ins Bett.
Nachts kurz vorm Einschlafen. Wenn ich mich jetzt nicht endlich bewege, wird nichts passieren. Ich stehe auf, ich mache das Fenster auf. Die Straßenlaterne wirft Licht auf die Straße zur Polizei. Ich habe ein Lied im Ohr. Was möchtest du verändern, Caroline Saunders? Da ist nichts was du verändern kannst, Caroline Saunders. Ich ziehe mich an und gehe aus dem Haus. Ich habe mir meine eigenen Klamotten gekauft, ich gehe mir Cola holen, ich bin auf der Straße. Auf dem Weg zur Tankstelle. Vorbei am Friedhof. Die Araltankstelle taucht die Straße in grelles Blau. Meine Turnschuhe sind nass vom Schnee.
Ich summe Caroline Saunders Lied. Caroline Saunders, Caroline Saunders. Es gibt nichts, was du machen kannst. Hier hab ich Moritz das letzte Mal getroffen, vor zwei Jahren. Er sagte: „Ich habe Dope dabei, aber ich biete dir nichts an. Ich weiß, es ist nichts für dich.“
Dann setzte er sich wieder aufs Fahrrad, er fuhr ziemlich wacklig. Er fuhr ziemlich wacklig bis nach Ohlendorf. Jeder hat seine Geschichten. Er fuhr raus aus meinen Geschichten. Und die Geschichten fallen wie Regen. Manchmal plötzlich, aber es sind immer dieselben. Ich war froh, nichts von dem Zeug nehmen zu müssen.
Der Junge im blauen Kittel kassiert die Cola. Ich kaufe zwei Dosen und er fasst sie an. Auf der Konfirmandenfreizeit hat er mir von seiner Vogelspinne erzählt. Dann hat er Playboyausgaben ausgepackt. Ich sagte: „Ich glaube, wir haben uns nicht viel zu erzählen.“ Dann aber Stockholm Syndrom, wir schliefen ja in einem Zimmer. Zurück zuhause kein Wort mehr, kein Gruß. Jetzt fasst er meine Cola mit seinen Spinnenhänden an. Mit den Händen, mit denen er Mäuse kauft und ins Terrarium setzt. Ich hab ziemlich viele Superhelden gebraucht, um mit Vampiren und Spinnen klar zu kommen. Ich finde ihn ekelhaft. Was hatte seine Spinne noch gleich für einen Namen? Ich glaube es war „Mausi.“
Wieder draußen wische ich die Dosen an meiner Jacke ab. Eine öffne ich. Mein Magen zieht sich für einen schmerzhaften Moment zusammen. Ich würde sofort Werbung für Coca-Cola machen. Ich weiß, irgendwann kommt der Konzern. Dann werde ich bereit sein. Wahrscheinlich überraschen sie mich beim Trinken.
Caroline Saunders, Caroline Saunders. Ich geh die Straße runter und komme wieder am Friedhof vorbei. An der Ampel steht der Organist. Er trägt einen langen grauen Mantel. Dazu einen schottisch gemusterten Hut. Wonach wählen Designer eigentlich die Muster aus? Symbolisieren die nicht die Clanzugehörigkeit? Oder ist das wieder nur eine dieser überdrehten Rollenspielerhalbwahrheiten? Wenns nach denen ginge, wäre ja alles auf einem Zettel zu erklären. So wie Friedrich März mit seinem Bierdeckel. Genauso beschissen. Auf jeden Fall auch steigerbar.
Der schottische Hut ist zu klein, er wirkt bescheuert. Ich grüße den Organisten seit Jahren nicht. Seit ich einer der heiligen drei Könige war. Ich wollte Melchior sein, meinte aber Balthasar. Ich wollte der Schwarze sein.
Warum sollte ich jemanden grüßen, der hinter zwölfjährigen Mädchen her ist und sich ständig räuspert? Ich grüße überhaupt nicht viele Leute, aber solche schon gar nicht. Er spricht mich an: „Sie haben alles weggehört. Sie sind gekommen, mit ihren gierigen Ohren und sie haben alles weggehört. Verstehst du, da ist keine Musik mehr.“
Versteh ich nicht, ich hab noch dieses Lied von Caroline im Ohr und zuhause die neue Art Brut Single liegen. Die Vorstellung finde ich trotzdem gut. Leute kommen mit ihren Ohren dicht an dich ran und hören dir deine Musik weg. Dann sitzt du da, oder du stehst an einer Straße und redest. Du tust alles, nur damit es nicht so still ist. Ich geh weiter. Nur weil ich ihn witzig finde, steh ich noch lange nicht auf kleine Mädchen. So weit geht es dann doch nicht.
Die Cola schmeckt nach den USA. Mit amerikanischer Gelassenheit schlendere ich über deutsche Gullys. Ich schlendere sonst nicht, fällt mir auf und sofort lass ich es bleiben. Vielleicht ist das dieses jugendlich Ungeschickte in mir. Dieses Erwachsenwerden. Ich habs nie irgendwo finden können. Im Gehen bin ich aber wirklich nicht gut. Ich lehn mich zu weit nach vorne oder ich bewege die Arme falsch. Ich gerate ins Stolpern und mache zu viele Schritte.
Ich klettere in den Rohbau an der Straßenecke. Ein paar Schaufeln liegen herum. Ich bin vorsichtig, um nicht in irgendein Loch zu fallen. Es stinkt nach Beton. Ich setze mich in ein noch glasloses Fenster und schmeiße die erste Dose in den Schnee. Kalter Wind weht mir ins Gesicht. Meine Füße frieren und ich öffne die zweite Dose mit einem Zischen.
Ich denk an mich als Balthasar. Ich finde das liebe Jesulein im Stroh und bringe ihm Coca- Cola. Ist doch alle Mal besser als Weihrauch, Myrrhe oder Gold. Vielleicht alles nicht unbedingt kindgerecht. Jetzt werd ich selbst mir zu blöd. Es ist wirklich ein schlechtes Zeichen, wenn man nicht mal mehr selber über seine Witze lachen mag. Ich denke an die gierigen Ohren. Begeistert stelle ich mir einen Rohrstock vor. Auf die Finger, zack. Und auf die Ohren, zack. Denen wird die Lust an ihren Diebereien schon noch vergehen, zack. Ich finde es sehr schön, Sünden in den Griff zu bekommen. Du sollst nicht stehlen, zack. Da haben wir es doch, darum geht es doch. Ich war unglücklich, nichts von dem Dope geraucht zu haben. Vielleicht wäre ich verträumter. Der Wind fing an mir tierisch auf die Nerven zu gehen. Ich puste ja auch nicht ständig anderen Leuten ins Gesicht. Ich schlug den Jackenkragen hoch und starrte in die Nacht. Weiter hinten konnte ich das Licht in meinem Zimmer sehen. Ich hatte es angelassen. Besonders weit war ich wirklich nicht gekommen.
Gedankenverloren summte ich das Lied, das ich gestern Nacht geschrieben hatte. Caroline Saunders, Caroline Saunders. Es gibt nichts, was du machen kannst.

.

27.09.2005 00:16:52
Absender: Old Nobody
schatten falllen
und ich war dein tag
ich hab nachts mehr getrunken
als ich eigentlich vertrag
und ich kann dir sagen
woran es lag
ich sagte
ich fühle mich so gut
dass mir schlecht wird
und du meintest:
ich war auf der suche nach dir
aber alles was ich gefunden hab
war ein egozentrisches arschloch
schatten fallen
auf mich als deinen tag
ich habe so viel getrunken
viel mehr als ich vertrag
und ich finde mich genauso
clever wie die neue single von 50
cent
am anfang denkst du: scheiße
und dann bleibt doch etwas hängen
schatten fallen
auf die laternen
ich falle zuhause
neben die gardinen
wieder draußen hebe ich einen zettel
auf
zwiebeln, prosecco, apotheke
das ist genau der gedanke
den ich auch eben hatte
und dabei hab ich mich gefühlt
als hätte ich einen schwarzen
rollkragenpullover an
dabei hasse ich die dinger
die dir den hals zuschnüren
meine güte bitte
ich würde auch nicht auf mich wetten
in turnschuhen und dem hemd
von gestern
ich falle
wie die schatten
über mich als tag
ich habe so viel von mir
viel mehr als ich ertrag
schatten fallen
und ich war dein tag.
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Von: CRAZY HORSE
Datum: Wed Sep 28 16:41:40 2005
ah,okay jorge.
da kann ich abhilfe leisten:

Play Possum

wenn ich schreibe
als ob ich nicht denken würde
als ob ich nicht nachts
gedacht hätte
wie es wäre
wenn ich willem de kooning
oder der freund deiner freundin wäre
der sie in den armen hält
oder wie es wäre
ich vor zwei jahren.
zwei lachende cowgirls
mit blick richtung himmel
ein fisch wie ein grizzlybär
frauenbildnis I-VI
als ich meinen sturz hatte
gab es einen augenblick
in dem ich fühlte
es gab diesen moment
der so viel intensiver war
als die letzten 6jahre
ich hätte durchs schwarz gehen können
ich fühlte
wie ich zerfiel
und ich wollte nicht gehen
kennst du diese frau
die alles was sie berührt
zu gold macht
und du nennst es zucker
und bud spencer
zieht dir den zahn
das erste was ich dachte
als ich ins krankenhaus kam
“endlich muss ich nicht mehr laufen”
und dann habe ich diese bücherkiste gefunden
in der die bücher meiner großeltern
in der die reste ihrer bücher liegen
bücher über malerei und tolstoi
und sie stinken und ich will diese bücher nicht haben
und was ich denke ist
wer will meine bücher haben
diese braunen seiten
diesen ganzen scheiß
vorausschauendes management
einer katastrophe im rückblick
wenn ich schreibe
als ob ich nicht denken würde
als ob ich nicht nachts
gedacht hätte
wie es wäre
würdest du von mir hören.

Motor-Cross

ich auf der bank
neben ihr im winter
trockene mundwinkel
und grüne handschuhe
alles in allem
nichts was sie will
oder was ich bekomme
ich bin mir auch gar nicht sicher
ob ich was zu verkaufen hätte
oder ob ich es verkaufen würde
für sie oder für mich
ich will im grunde nur
erzählen
wer ich bin und warum
und dann will ich
das sie deswegen mit mir schlafen will
was ich kindisch finde
und sie findet es scheiße
sie sagt
du hörst dich wohl gerne reden
und ich sag
jedenfalls lieber als dich
ich auf der bank
alleine im winter
trockene mundwinkel
und robert johnson im ohr
und ich sehe sie mit
einem typen in dieses restaurant gehen
in dem wir immer waren
und ich weiß
sie geht nicht mit einem typen
in dieses restaurant
aber es sieht hart danach aus
und die tür geht auf
und ein anderes mädchen kommt raus
und wovor ich wirklich angst hab ist
das sie mich mit nimmt
mit diesem typen ins bett
wie ein spannbettlaken
ich meine, jeder spielt eine rolle
jeder hat einen job
und ich bin das spannbettlaken
unter zwei schwitzenden körpern
ich fall auf die kniee an den crossroads
und ich bete für mich
ich rufe sie an
ich ruf sie auf dem handy an und
der teufel nimmt ab.

Biker Biker

der kopf wie
abgeschnallt auf der rückband
deines autos
das riecht wie der wagen
eines kettenrauchers
und du hast es nie probiert
du hast nie wie diese mädchen
und jungen in der schule im gebüsch
oder im wald heimlich
an einer zigarette gezogen
und du fährst diesen wagen
der riecht wie die fabrik
und die markthalle
und ich fahr mit dir
du musst halten
ein transporter zieht vorbei
langsam und zu breit
ihn noch zu überholen
und wir fahren hinter ihm her
ins dorf
was dich aufregt
und ich bin eingeschüchtert
davon wie du redest
als ob ich was gemacht hätte
und ich traue mich nicht dir zu sagen
das es mir völlig egal ist
wie schnell wir sind
und das ich wirklich etwas gemacht hab
das ich gedacht hab
wie es wäre
ohne dich ins kino zu gehen
jim jarmusch zu sehen
mir cola zu kaufen und popcorn
ohne dich
und mit einem mädchen
das aussieht wie laura holt
und ich hab es nie probiert
wie diese mädchen und jungen
heimlich im gebüsch oder im wald.

.
.
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12.09.2005 21:38:07
Von :Old Nobody
neuer text:

The Train Times

im dreivierteltakt zu mir
ein tropfen öl ins trinkwasser
der leuchet wie mike tysons augen
und ich wie kohle
im schnee all das
was ich los werden will
darum geht es beim schreiben
wie zerspringendes glas
und eine skulptur von günter grass
ich sehe grün
und fühle plastik
dann sehe ich rot
und singe fanatisch
alle lieder mit
die im radio rotieren
und sie spielen scheiße
am laufenden band scheiße
für mich im dreivierteltakt
ein tropfen öl ins trinkwasser
und jetzt will er ins pornogeschäft
mike tyson sagt
ich bin der dümmste boxer
in der geschichte
der größte arsch
ich meine iron mike
iron mike tyson im pornogeschäft
eben spuckt er noch die ohrläppchen aus
und dann ist er pleite
im fernsehen
schwebt die leiche
über einem sarg voller millionen
und ich singe
love is no crime
you should make it

.
.
.

Black Jack

am sonntag in der s-bahn
die sonne durchs fenster
auf der elbe
in die augen
wie shampoo als kind
es gibt was besseres
sagt der roman vor mir
in der hand dieser frau
mit den goldenen ohrringen
ich hör nur halb hin
wer weiß, ob das stimmt
und dann sehe ich den elbstrand
ein streifen gelb vorm blau
und diese leute liegen am strand
in ihren badehosen
in ihren bikinis und ich meine
es muss wirklich super sein
ich wäre so gerne am elbstrand
denke ich, bei diesen leuten
im wasser und auf einem handtuch
meine freundin hat gesagt
es wär so wunderbar am elbstrand
und ich habe gesagt
wie weit ist es schon bis zur see?
das sind doch nur ein paar kilometer
und sie hat geschwärmt vom strand
und ist alleine an den strand gefahren
und hat mir vorgeschwärmt vom strand
bei ihr im zimmer
stand diese blaue kiste
in die ich nicht gucken sollte
die sogar abgeschlossen war
ich hab keine ahnung, was in dieser kiste war
ich habe sie gefragt und ich habe versucht sie zu öffnen
ich saß da und habe die kiste in den händen gehalten
und ich habe sie geschüttelt
und angestarrt und weg gelegt, wenn sie kam
vielleicht hätte ich irgendwo den schlüssel gefunden
aber ich war nie oft bei ihr
wenn dann wie aeneas bei dido
irgendwann in italien
und ich meine
da ist diese frau und sie hat diese wunderbare stadt gebaut
sie hat karthago gegründet
sie hat so einen charme, sie hat alles
und dann fährt er nach italien
widerwillig
er segelt widerwillig nach italien
ich hab die geschichte gar nicht mehr genau im kopf
und es ist eine sage
und ich bin genauso bescheuert wie mein nachbar
ich hab sie gehasst, diese kiste
ich hab nie verstanden, warum ich nicht
in diese kiste sehen sollte
ich habe sie dafür gehasst
und angefangen auf john cale herum zu hacken
ich meine, ich hab nichts gegen john cale
ich habe scheiße geredet
und selbstgespräche mit dem poster an ihrer wand geführt
walking on locusts
cale auf rosa
ich hab ihr dieses bild geschenkt
als ich angefangen habe geige zu spielen
hat meine schwester gesagt
du wirst wie john cale
als ich aufgehört hab zu spielen
wollte ich sein wie john cale
in ihrem kopf sein wie black jack
und ich war wie lou reed
für john cale
und ich will ganz sicher nicht
an den elbstrand
an diesen beschissenen streifen
auf dem die leute herumliegen
auf dem sie volleyball spielt
das ist doch ein strand für leute
die nicht wissen, was ein strand ist
nicht das ich das wüßte
ich glaubs aber trotzdem zu wissen
weil ich nicht leicht zu beeindrucken bin
ich bin eine ganze menge
aber bestimmt nicht leicht zu beeindrucken
dafür bin ich ein arschloch
und john cale hat gesagt
das er nie wieder was mit lou reed zu tun haben will
und ich sitze am sonntag in der s-bahn
und vor mir liegt der elbstrand

.
.
.

Dear Diary: Love walked in

ich am schreibtisch
wie du im krankenwagen
ich gebe alles
und dann das herzversagen
du ziehst dir die handschuhe aus
du schwitzt und du fährst
mit der u-bahn nach hause
sie schläft wie ein gelber blitz
im schwarz
sie schaukelt hin und her
sie nimmt dich mit
und zuhause fällst du
von deiner freundin ins bett
du hast genug
mehr als du verträgst
und mich kotzen die reime an
die die worte zu städten machen
und ich auf dem highway
neben mir hegel auf dem tisch
was vernünftig ist, ist wirklich und was wirklich ist, ist vernünftig
und ich auf dem highway
ohne führerschein
ich meine, ich habe immer noch keinen führerschein
links vor rechts und rechts im kreis
das ist sogar zu bescheuert
um witze darüber zu reißen
und ich auf dem highway
zwischen den orten
ohne kindisch zu sein verloren
und vor allem angenervt
vom verkehr auf deutschen straßen
und die anderen halten nur an
um sich auf sexparkplätzen zu treffen
ich meine, die treffen sich in diesen tannenwäldern
neben den bänken
und dem grünen mülleimer
und dann gehst du frische luft schnappen
und im wald liegen überall taschentücher
und an der toilettenwand steht
dass sie sich nehmen lassen wollen
und sie stehen an ihren autos rum
und rauchen danach
oder sie bleiben bei dir stehen
und sie wollen deine cola trinken
und ich werd einen teufel tun
und ihnen meine coca-cola geben
und ich schick sie zur hölle
und ich komm hin
was ich kleinkariert finde
aber so ist das eben
und ich am schreibtisch
genervt am computer
oder betrunken vorm block
jedenfalls verkrampft und mit kopfschmerzen
das problem mit deinen texten ist
das ich die geschichte vermiss
auch wenn der reim gut ist
was vernünftig ist, ist wirklich und was wirklich ist, ist vernünftig
und nicht nur bescheuert
so bescheuert wie du
und dann finde ich diese biografie
und sie erzählt wie sie
diesen paharao mit goldenen ketten
in dieser pyramide sieht
victor bockris über patti smith
und ich komm nach hamburg
über die elbe
und sie sitzen in dieser bar
als ob sie nur auf mich gewartet hätten
jedenfalls werde ich kommen
über den highway
zwischen den orten

„Alexander Balas auf der Damentoilette”

Ich beobachtete, wie eine Discokugel rote Kreise in den Raum warf.
Entweder sie dreht sich zu schnell oder zu langsam, überlegte ich.
Sie könnte ja auch einfach damit aufhören, sich zu drehen.
Wie wäre das denn mal?
Die roten Kreise fuhren behäbig über mein Gesicht und über das
weiße T-Shirt des Mädchens am Tresen.
Ich fand es schön, dass ich ihre Unterhose auch dann nicht sehen konnte,
wenn sie sich nach vorne beugte. Ich trank einen Schluck Cola.
Die Stimme meiner Mutter verkündete, dass nun bald Weihnachten wäre.
Ich fand es schön eine Stimme zu haben, die zu mir spricht wie der
Weihnachtsengel zu den Hirten.
Meine Freundin sagte unterdessen zu mir, dass sie Patti Smith schön fände.
Auch das fand ich angenehm, wenn auch etwas befremdlich.
Dann warf ich ein, ich sollte den Rücken des Mädchens nicht so anstarren,
ich hätte schließlich eine Freundin.
Ich könnte mir schließlich Mädchen im Fernsehen ansehen,
oder in Hochglanzmagazinen.
Es ist nichts prinzipielles, aber ich sehe mir keine Pornos an. Gut, stimmt nicht.
Der Weihnachtsengel sah mich verständnislos an und ich stand auf.
Im Spiegel zog ich ein fassungsloses Gesicht.
Die Toilette war klein und schäbig.
Vielleicht könnte ich den Barmann überreden, hier eins meiner Bilder aufzuhängen.
Ich bin der Meinung, das wäre wirklich der richtige Ort.
Ich könnte auch ein Toilettenbild malen, ein Auftragswerk.
Barmann beauftragt Künstler mit Gemälde für Toilette.
Ich würde ein Gesicht futuristisch zerstückeln und ein Skalpell daneben malen.
Für das Skalpell würde ich einen sehr dünnen Pinsel benötigen.
Den müsste mir der Barmann aber schon bezahlen.
Wenn der unbedingt eins meiner Bilder in seiner schäbigen Toilette aufhängen will,
dann muss er zumindest für die Materialkosten aufkommen.
Rahmen würde ich das auch nicht extra.
Wir würden das am besten auf der Frauentoilette aufhängen,
mein Freund der Barmann und ich.
Das Gesicht würde die Frauen anstarren, zerstückelt und ohne jede Liebe.
Erinnert das vielleicht zu sehr an Jack the Ripper?
Ich meine, ein Bild tut ja niemandem was.
Von mir aus hängen wir es auch auf die Männertoilette.
Ich wusch mir die Hände mit Kernseife und ging zurück in die Bar.
Die roten Kreise fuhren behäbig über mein Gesicht und über das weiße T-Shirt des Mädchens am Tresen.
Ich drohte der Kugel mit dem Zeigefinger und rief ihr zu:
„Pass nur auf, du! Deine Sachen gehen nicht mehr lange gut.“
Sie antwortete beleidigt: „Mit nacktem Finger zeigt man nicht auf Leute.“
Das Mädchen sah mich überrascht an.
Sie legte ihr aufklappbares Handy aus der Hand und sprach mich an.
Eigentlich antwortete sie, weil ich mich neben sie gesetzt und sie angesprochen hatte.
Ich fühlte mich gut, ein wildfremdes Mädchen hatte mich angesprochen.
Sie fand ein Münzportrait Alexander Balas’ auf der Damentoilette wäre merkwürdig.
Außerdem wüsste sie auch überhaupt nicht, wer das sei.
Das ist nicht weiter verwunderlich, eigentlich weiß das kaum jemand.
Deswegen erklärte ich sie für dumm und ungebildet.
Sie fragte: „Was macht dich so ungeheuer attraktiv?“
Dabei fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen und starrte mich an.
Ich erkundigte mich nach ihrer Frage und sie stellte sie nochmal.
Das hat sie also wirklich gesagt, überlegte ich.
Die Discokugel warf ihr rote Ringe ins feine Gesicht.
„Ich bin Trapper,“ antwortete ich.
„Ich lege Fallen aus.
Ich fange darin magere Hasen und schlage die Biester dann mit einem Stock tot.
In meiner Hütte zieh ich ihnen das Fell über die Ohren und hänge es zum Trocknen auf.
Du findest vielleicht, ich bin ein Arschloch.
Aber ich will ja auch nur leben, so wie jeder andere anständige Deutsche auch.“
Den Spruch mit den anständigen Deutschen hatte ich mir abgehört, aber er ist auch wirklich sehr gut.
Ich bestellte mir noch eine Cola, aber sie zog mich am Ärmel.
Ihr Teint war südländisch.
Hoffentlich Italienerin, überlegte ich.
Ich wäre gern wieder nach Rom geflogen. Auf ihre Kosten.
Sie sagte: „Komm jetzt. Ich war die ganze Zeit auf der Suche nach dir.“
„So blöd bist du doch nicht, aber gefunden hast du mich noch lange nicht.“

Eingehakt gingen wir Richtung Hafen. Sie machte mir ein Geständnis:
„Die Erde wird explodieren und ich nehme dich mit in mein Raumschiff.“
Beim Anblick des roten Renaults, den sie aufschloss, regte sich ein schlimmer Verdacht in mir.
„Du hör mal. Wenn das jetzt eine sexuelle Metapher sein soll, vergiss es.
Auf den Scheiß hab ich überhaupt keinen Bock.“
„Das soll keine Metapher sein. Ich habe den besten Menschen ausgesucht und das bist du.
Also steig ein.“
Das fand ich einleuchtend.
Der beste Mensch war ich, soviel stand fest.
Trotzdem komisch, wie hatte sie das denn rausgefunden?
Vielleicht wollte sie mich auch auf einer Landstraße erschießen und in Stücke schneiden?
Ich dachte eine Weile darüber nach, während sie das Eis von den Scheiben kratzte.
Ich kam zu einem überraschenden Ergebnis.
„Außerdem bin ich auch überhaupt nicht der beste Mensch. Das ist nämlich Lou Reed.
Warum hast du denn hier jetzt nicht Lou Reed neben dir stehen?“
„Der wollte nicht mit, der fand die Idee scheiße.“
„Ich finde die Idee auch Scheiße.“
„Vielleicht schläfst du dann wenigstens mit mir auf diesem Parkplatz?“
„Einen Teufel werd ich tun.“ Ich drehte um und ging zurück Richtung Bar.
Das bescheuerte Mädchen rief mir hinterher: „Deine Sachen gehen nicht mehr lange gut.“
Ich schüttelte nur mitleidig den Kopf.
Dann hörte ich auf einmal den Engel zu mir sprechen und er sagte: „Fürchte dich nicht.“
Das fand ich nicht schlüssig und deswegen setzte ich mich wieder an die Theke, bestellte Cola
und ärgerte mich über die Discokugel. … Es war eine kalte Nacht.

kurznachricht:

donnerstag lese ich in zusammenhang mit einem konzert und dem
hinterkochhauptschinkentag im souledge.
(unter anderem aus der unveröffentlichten fortsetzung der elbe und meinem
neuen gedichtband)
ihr seid alle herzlich eingeladen.
auf _www.souledge.de_ (http://www.souledge.de) gibts die adresse.
ist in altona gegenüber der astra-stube. trinker kennen das.
es geht wohl gegen 21:00uhr los.
ich freu mich, wenn alle kommen.
wer kommt, bekommt angst mit auf den weg.
ich kann gar nicht zuviel versprechen.

bestes euch allen
licht&liebe, wie tom liwa immer schreibt

fynn

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