eine geschichte so fahr

Dezember 27, 2005 on 9:15 pm | In caroline says, fynn |

„Alexander Balas auf der Damentoilette”

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Die Stimme meiner Mutter verkündete, dass nun bald Weihnachten wäre.
Ich fand es schön eine Stimme zu haben, die zu mir spricht wie der
Weihnachtsengel zu den Hirten.

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  1. „Alexander Balas auf der Damentoilette”

    Ich beobachtete, wie eine Discokugel rote Kreise in den Raum warf.
    Entweder sie dreht sich zu schnell oder zu langsam, überlegte ich.
    Sie könnte ja auch einfach damit aufhören, sich zu drehen.
    Wie wäre das denn mal?
    Die roten Kreise fuhren behäbig über mein Gesicht und über das
    weiße T-Shirt des Mädchens am Tresen.
    Ich fand es schön, dass ich ihre Unterhose auch dann nicht sehen konnte,
    wenn sie sich nach vorne beugte. Ich trank einen Schluck Cola.
    Die Stimme meiner Mutter verkündete, dass nun bald Weihnachten wäre.
    Ich fand es schön eine Stimme zu haben, die zu mir spricht wie der
    Weihnachtsengel zu den Hirten.
    Meine Freundin sagte unterdessen zu mir, dass sie Patti Smith schön fände.
    Auch das fand ich angenehm, wenn auch etwas befremdlich.
    Dann warf ich ein, ich sollte den Rücken des Mädchens nicht so anstarren,
    ich hätte schließlich eine Freundin.
    Ich könnte mir schließlich Mädchen im Fernsehen ansehen,
    oder in Hochglanzmagazinen.
    Es ist nichts prinzipielles, aber ich sehe mir keine Pornos an. Gut, stimmt nicht.
    Der Weihnachtsengel sah mich verständnislos an und ich stand auf.
    Im Spiegel zog ich ein fassungsloses Gesicht.

    Die Toilette war klein und schäbig.
    Vielleicht könnte ich den Barmann überreden, hier eins meiner Bilder aufzuhängen.
    Ich bin der Meinung, das wäre wirklich der richtige Ort.
    Ich könnte auch ein Toilettenbild malen, ein Auftragswerk.
    Barmann beauftragt Künstler mit Gemälde für Toilette.
    Ich würde ein Gesicht futuristisch zerstückeln und ein Skalpell daneben malen.
    Für das Skalpell würde ich einen sehr dünnen Pinsel benötigen.
    Den müsste mir der Barmann aber schon bezahlen.
    Wenn der unbedingt eins meiner Bilder in seiner schäbigen Toilette aufhängen will,
    dann muss er zumindest für die Materialkosten aufkommen.
    Rahmen würde ich das auch nicht extra.
    Wir würden das am besten auf der Frauentoilette aufhängen,
    mein Freund der Barmann und ich.
    Das Gesicht würde die Frauen anstarren, zerstückelt und ohne jede Liebe.
    Erinnert das vielleicht zu sehr an Jack the Ripper?
    Ich meine, ein Bild tut ja niemandem was.
    Von mir aus hängen wir es auch auf die Männertoilette.
    Ich wusch mir die Hände mit Kernseife und ging zurück in die Bar.
    Die roten Kreise fuhren behäbig über mein Gesicht und über das weiße T-Shirt des Mädchens am Tresen.
    Ich drohte der Kugel mit dem Zeigefinger und rief ihr zu:
    „Pass nur auf, du! Deine Sachen gehen nicht mehr lange gut.“
    Sie antwortete beleidigt: „Mit nacktem Finger zeigt man nicht auf Leute.“

    Das Mädchen sah mich überrascht an.
    Sie legte ihr aufklappbares Handy aus der Hand und sprach mich an.
    Eigentlich antwortete sie, weil ich mich neben sie gesetzt und sie angesprochen hatte.
    Ich fühlte mich gut, ein wildfremdes Mädchen hatte mich angesprochen.
    Sie fand ein Münzportrait Alexander Balas’ auf der Damentoilette wäre merkwürdig.
    Außerdem wüsste sie auch überhaupt nicht, wer das sei.
    Das ist nicht weiter verwunderlich, eigentlich weiß das kaum jemand.
    Deswegen erklärte ich sie für dumm und ungebildet.

    Sie fragte: „Was macht dich so ungeheuer attraktiv?“
    Dabei fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen und starrte mich an.
    Ich erkundigte mich nach ihrer Frage und sie stellte sie nochmal.
    Das hat sie also wirklich gesagt, überlegte ich.
    Die Discokugel warf ihr rote Ringe ins feine Gesicht.
    „Ich bin Trapper,“ antwortete ich.

    „Ich lege Fallen aus.
    Ich fange darin magere Hasen und schlage die Biester dann mit einem Stock tot.
    In meiner Hütte zieh ich ihnen das Fell über die Ohren und hänge es zum Trocknen auf.
    Du findest vielleicht, ich bin ein Arschloch.
    Aber ich will ja auch nur leben, so wie jeder andere anständige Deutsche auch.“
    Den Spruch mit den anständigen Deutschen hatte ich mir abgehört, aber er ist auch wirklich sehr gut.
    Ich bestellte mir noch eine Cola, aber sie zog mich am Ärmel.
    Ihr Teint war südländisch.
    Hoffentlich Italienerin, überlegte ich.
    Ich wäre gern wieder nach Rom geflogen. Auf ihre Kosten.
    Sie sagte: „Komm jetzt. Ich war die ganze Zeit auf der Suche nach dir.“
    „So blöd bist du doch nicht, aber gefunden hast du mich noch lange nicht.“

    Eingehakt gingen wir Richtung Hafen. Sie machte mir ein Geständnis:
    „Die Erde wird explodieren und ich nehme dich mit in mein Raumschiff.“
    Beim Anblick des roten Renaults, den sie aufschloss, regte sich ein schlimmer Verdacht in mir.
    „Du hör mal. Wenn das jetzt eine sexuelle Metapher sein soll, vergiss es.
    Auf den Scheiß hab ich überhaupt keinen Bock.“
    „Das soll keine Metapher sein. Ich habe den besten Menschen ausgesucht und das bist du.
    Also steig ein.“
    Das fand ich einleuchtend.
    Der beste Mensch war ich, soviel stand fest.
    Trotzdem komisch, wie hatte sie das denn rausgefunden?
    Vielleicht wollte sie mich auch auf einer Landstraße erschießen und in Stücke schneiden?
    Ich dachte eine Weile darüber nach, während sie das Eis von den Scheiben kratzte.
    Ich kam zu einem überraschenden Ergebnis.
    „Außerdem bin ich auch überhaupt nicht der beste Mensch. Das ist nämlich Lou Reed.
    Warum hast du denn hier jetzt nicht Lou Reed neben dir stehen?“
    „Der wollte nicht mit, der fand die Idee scheiße.“
    „Ich finde die Idee auch Scheiße.“
    „Vielleicht schläfst du dann wenigstens mit mir auf diesem Parkplatz?“
    „Einen Teufel werd ich tun.“ Ich drehte um und ging zurück Richtung Bar.
    Das bescheuerte Mädchen rief mir hinterher: „Deine Sachen gehen nicht mehr lange gut.“
    Ich schüttelte nur mitleidig den Kopf.
    Dann hörte ich auf einmal den Engel zu mir sprechen und er sagte: „Fürchte dich nicht.“
    Das fand ich nicht schlüssig und deswegen setzte ich mich wieder an die Theke,
    bestellte Cola
    und ärgerte mich über die Discokugel. … Es war eine kalte Nacht.

    Kommentar von caroline says — 27. Dezember 2005 #

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